Beim Reverse-Graffiti entsteht aus dem Kontrast zwischen dem Schmutz auf Wänden und darauf gereinigten Flächen ein Negativbild. Das Besondere an diesen vergänglichen Zeichnungen ist, dass weder mit Farben gearbeitet, noch etwas anderes hinzugefügt wird, sondern etwas rückgängig gemacht wird. [to reverse = rückgängig machen, umkehren; reverse = umgekehrt, entgegengesetzt, gegenläufig]. Dieses partielle Saubermachen verdreckter Flächen ist bundesweit nicht verboten, wenn die Wand darunter keinen Schaden nimmt. Beseitigt werden dabei Patina, Ruß, wild wachsende Moose und Gräser. Im April 2014 startet das Ordnungsamt Köln den ersten Versuch ein Exempel gegen die legalen Teilsäuberungen in Köln zu statuieren.
Treibende Kraft gegen Graffiti ist die Kölner Anti Spray Aktion (KASA)
Wir „treten gemeinsam dem Phänomen Graffiti entschlossen entgegen“. Seit 2011 setzt sich die „Kölner Anti Spray Aktion“ (KASA) verschäft dafür ein sämtliche aufgrund von Graffiti veranlassten Reinigungen anzuzeigen. Gegründet wurde die Aktion bereits 1998. Ob der Strafantrag strafrechtlich weiterverfolgt wird, entscheidet dann die Staatsanwaltschaft. Zwischen klassischen Methoden und der Umkehrtechnik wird nicht mehr unterschieden. Für die Aktivisten spielt es ebenfalls keine Rolle, ob es sich um plakative Werbebotschaften oder andere vermeintliche Geschmacklosigkeiten handelt. Jede Form von Graffiti wird grundsätzlich als Sachschaden behandelt.
Bedenkt man, dass viele Reverse-Graffiti subtil, ironisch, anregend, erheiternd und zudem meist vergänglich von den Spuren erneut einsetzender Verwitterung innerhalb weniger Monate oder Wochen wieder überlagern, klingen die Anklagen der KASA und deren Koordinatorin Petra Kremerius doch recht überzogen. Hinzu kommt dass auf die angekündigte Härte, künftig keine Unterscheidung mehr zwischen herkömmlichen Techniken oder Reverse-Graffiti zu machen, bislang keine Urteile folgten. Christian Steigels schreibt dazu im Dezember 2013 in der Kölner Stadtrevue „Es geht nicht um Strafbarkeit, es geht darum, jede Art von Intervention im öffentlichen Raum zu entfernen.“
Zu den Mitgliedern der KASA zählen nicht vereinzelt extrem ordnungsliebende Bürger, sondern inzwischen 37 städtische Institutionen, darunter die Polizei Köln, die Bundespolizeiinspektion Köln und der Kölner Haus- und Grundbesitzverein e. V. Das Ganze wirkt wie ein verzweifeltes Ringen um die Kontrolle über die Ordnung des öffentlichen Erscheinungsbildes der Innenstadt Köln.
Rechtslage bezüglich Reverse-Graffiti und Sachbeschädigung
Laut Stern wurde das „Kunstputzen“ in Köln nun erstmals als Straftat behandelt. Das Ordnungsamt Köln hat in zwei Fällen von Reverse-Graffiti Anzeige, gemäß § 303, Absatz 2, wegen Sachbeschädigung, erstattet. Bei beiden Motiven, 1. am Brüsseler Platz und 2. nahe der Severinsbrücke an einer Rampe zur Nord-Süd-Fahrt, handelt es sich allerdings um werbende Graffitis, sogenanntes Street Branding und nicht um Straßenkunst. Die Flächen wurden gereinigt ohne dass ein Urheber ausfindig gemacht werden konnte.
In anderen Fällen, wie in Köln-Ehrenfeld, wo Kosten durch Reinigung entstanden sind, sind die Urheber sogar bekannt werden aber ebenfalls nicht angezeigt oder zur Kasse gebeten.
Die Zuordnung zu dem Genre Graffiti ist kunstwissenschaftlich zwar zutreffend, rechtlich aber aufgrund der Stilrichtung Reverse, juristisch gemäß Grundgesetz § 303 im Grunde nicht gleich behandelbar mit Sachbeschädigung. Bei Reverse-Graffiti wird, wie in § 303 II StGB festgelegt, keine dauerhafte Veränderung vorgenommen, die das Erscheinungsbild einer Sache erheblich verändert.
§ 303 Sachbeschädigung
(1) Wer rechtswidrig eine fremde Sache beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer unbefugt das Erscheinungsbild einer fremden Sache nicht nur unerheblich und nicht nur vorübergehend verändert.
(3) Der Versuch ist strafbar.
Rechtsanwalt Jens Ferner führt in dem Blogbeitrag Zur Strafbarkeit von Reverse Graffiti gute Gründe auf, die dagegen sprechen, dass es jemals zu einem Urteilsspruch kommt, auszuschließen sei die Möglichkeit aber nicht.
Jan Weber, Anwalt aus Köln, spezialisiert im Bereich Kunstrecht schreibt mir dazu, dass eine Anzeige erstmal zu einer Anklage seitens der ermittelnden Staatsanwaltschaft führen müsste. Davon, dass ein Strafrichter dann gegebenenfalls ein Urteil gegen Reverse Graffiti fällt „sind wir jedoch in Köln bisher meilenweit entfernt. Das wird m.E. auch so bleiben.“
Kritische Stimmen zur Illegalisierung von Reverse-Grafitti
Der Dortmunder Rechtsanwalt Patrick Gau verweist in Bezug auf die jüngst erstatteten Anzeigen auf den Mangel der Dauerhaftigkeit in der vom Eigentümer unerwünschten Veränderung des Erscheinungsbildes von Fassaden durch Reverse-Graffiti. „Dann könnte man auch Kinder, die Hüpfkästchen spielen, anklagen“. Das würden viele Hauseigentümer, die schleichende Abnutzungen ihrer Einfahrten durch zum Beispiel Rollerblades oder regelmäßige Veränderungen des Erscheinungsbildes durch Straßenmalkreide sicher auch gerne tun. Bleibt zu hoffen, dass Eltern nicht künftig für ihre Kinder haften müssen, wenn sie regelmäßig Käsekästchen auf verdreckte Scheiben malen. Genau genommen sind das auch Reverse-Graffiti, letztlich aber unerheblich und nur vorübergehend.
Etwas überzogen spöttisch reagiert die Grüne Jugend. Ihr „Offener Brief an die Stadt Köln“ listet 10 Punkte in Form von Fragen auf, die mögliches Abmahnungspotenzial aufweisen. Darunter, ob das Aufheben von Müll oder das „Entfernen von Hunde- und anderem Kot in Köln ebenfalls bestraft“ wird.
Offenbar hat die Stadt Köln weniger ein Problem damit, dass Häuserwände und Betonpalisaden an Straßen, Gehwegen, Unterführungen und Tunneln durch Luftverschmutzung ungleichmäßig verdrecken, als mit Graffiti jeglicher Art. Wäre es nicht effektiver die Eigentümer ab einem gewissen Grad der Verschmutzung dazu zu verpflichten zur Aufhellung des Stadtbildes beizutragen, indem die Fassade gereinigt wird? Warum werden (Reverse) Graffiti als unansehnlicher und störender bewertet als die gängige Patina aus Luftverschmutzung und andere Verwitterungseinflüsse sowie Verfallserscheinungen mangels finanzieller Mittel?
Oder geht es um den Gesamteindruck einer einheitlichen Verschmutzung, auf die bei partiellen, mutwilligen Veränderungen kontrastreich Aufmerksamkeit gelenkt wird? Dann müssten allerdings die Verursacher der Rußpartikel zur Kasse gebeten werden. Wenn eine Stadt Umweltplaketten einführen kann, können Autofahrer und Firmen in besonders dreckigen Städten wie Köln doch auch an einem Stadtputztag zur Verbesserung der Straßen- und Fassadengrundreinigung aufrufen.
Angela Glatzel | Kunstwissenschaftlerin | kultur-und-kunstgeschichte.de